Die Rolle der Frau in lateinamerikanischen Gesellschaften ist durch mehrere Merkmale historisch geprägt. Durch a. ein stark ausgeprägtes binäres Geschlechterverständnis einhergehend mit entsprechenden Zuschreibungen und Verfestigungen, b. durch die geforderte Unterordnung der Frau in patriarchalen Familienstrukturen einhergehend mit zugeordneten Reproduktionsaufgaben im Privaten, c. durch die zentrale Rolle, die der Institution der Familie in lateinamerikanischen Gesellschaften zukommt und die nur dem männlichen Geschlecht entlang der Kategorie der Öffentlichkeit Zugänge zur Politik und zum Arbeitsmarkt ermöglicht und d. durch die Wichtigkeit der Distinktionskategorie der sozialen Klasse (Jelin 1990). Während die sozialen, kulturellen und regionalen Unterschiede zwischen den lateinamerikanischen Ländern nicht zu vernachlässigen sind, lassen sich die genannten Gemeinsamkeiten im Kontrast zum westlichen, den feministischen Diskurs häufig dominierenden Rollenbild auch heute noch zeichnen.
Ein zentrales inhaltliche Element der lateinamerikanischen Frauenbewegungen ist die Befreiung von Gewalt. Laut statistischem Bundesamt gaben in Peru im Jahr 2023 27,2 Prozent aller Frauen an, bereits Gewalt durch einen Partner erlebt zu haben. Im Jahr 2011 waren es noch 38 Prozent. Von 2015 bis 2023 gab es hier insgesamt 1191 Femizide (inei.gob.pe).
Der Feminismus in Peru erlebte ab 1979 einen rasanten Aufschwung indem sich Frauen der Mittelschicht organisierten und grass roots-Bewegungen entstanden, finanziert durch internationale Mittel (Barrig 1994). Hier wird von einer zweiten Welle des Feminismus gesprochen, denn vor den 1960/70er Jahren waren es vor allem Frauen in höheren sozioökonomischen Positionen, die sich ein Recht auf höhere Bildung und den Zugang zum Arbeitsmarkt erkämpfen wollten. Zur zweiten Welle lassen sich drei Strömungen der Frauenbewegung identifizieren: die feministische Strömung, die traditionellen Frauen und Frauen in der politischen-öffentlichen Sphäre (Martin 2022).
Foto: Wiki Commons
In den 1990er Jahren brachten sich die Campesinas (dt.: Bäuerinnen) ein, organisierten sich und nahmen an institutionalisierter politischer Partizipation teil. Dabei spielten ihre Identität und ihr Verständnis von Weiblichkeit eine zentrale Rolle. Letztere unterschied sich vom Verständnis der hispanischen, katholischen Städterinnenkultur durch Unterschiede in Klasse, Ethnie und Region (Radcliffe 1993). Die Campesinas sahen sich in der Politik nicht ausreichend repräsentiert. Heute ist die peruanische Nationale Förderation der Bäuerinnen, Handwerkerinnen, Indigenen und angestellten Frauen (Federacion Nacional de Mujeres Campesinas Artesanas Indigenas Nativas Asalariadas del Peru, kurz: fenmucarinap) weiterhin aktiv. Sie wurde 2006 gegründet und vereint 19 Frauenorganisationen aus unterschiedlichen Regionen Perus. Ihr Ziel ist es Frauen zu organisieren und zu vertreten, sich dabei für politische Inklusion einzusetzen, ihre Rechte zu stärken und ihr kulturelles Wissen zu respektieren, es wiederherzustellen und es aufzuwerten (fenmucarinap.com).
Ziele der Frauenbewegung sind heute die wirtschaftliche Unabhängigkeit von Frauen, der Schutz vor Gewalt sowie die Inklusion ihrer Interessen in den politischen Prozess.
Fotos: Wiki Commons
Der Gender Inequality Index (GII) für Peru lag im Jahr 2023 bei einem Wert von 0,34 und sank dabei stetig seit den 1990er Jahren. Der GII in Deutschland lag, zum Vergleich, bei einem Wert von 0,057. Mit einer Spannweite von 0 bis 1 bedeutet ein hoher Wert eine stärker ausgeprägte Ungleichheit. Die politisch und soziale Angleichung der Geschlechter in Peru hat sich im Gesamtbild somit verbessert, so lag der GII 1990 noch bei 0,569. Dieser Wert wird anhand von drei Dimensionen gemessen: Reproduktive Gesundheit, Selbstbestimmung und Arbeitsmarkt (hdr.undp.org). -AKG
Zahlen nach: hdr.undp.org
Verwendete Literatur:
Barrig, Maruja (1994): The difficult Equilibrium Between Bread and Rosses: Women's Organizations and Democracy in Peru, in: Jaqquette, Jane S. (Hrsg.): The Women's Movement in Latin America. Partizipationen and Democraacy, Oxford, S.151-175.
Jelin, Elizabeth (1990): Introduction, in: Jelin, Elizabeth (Hrsg.): Women and Social Change in Latin America, London, S.1-11.
Martin, Phoebe Sarah (2022): Visual and Embodied Politics: Activism and the Contemporary Feminist Movement in Peru. A thesis submitted for the degree of PhD Latin American Studies. Verfügbar unter: https://discovery.ucl.ac.uk/id/eprint/10162808
Radcliffe, Sarah A. (1993): 'People have to rise up - like the great women fighters': The state and peasant women in Peru, in: Radcliffe, Sarah A. & Westwood, Sallie (Hrsg.): 'ViVa' women and popular protest in Latin America, London, S.197-218.